Zusammenfassung des Urteils Nr. 60/2007/10: Obergericht
Der Fall handelt von einem Rekursentscheid des Regierungsrats bezüglich einer Verkehrsstrafenverfügung, die teilweise geändert wurde. Das kantonale Verkehrsstrafamt hat daraufhin Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Obergericht erhoben, das jedoch nicht darauf eingetreten ist. Es wird diskutiert, ob das Verkehrsstrafamt befugt ist, solche Beschwerden zu erheben, und es werden die rechtlichen Grundlagen für Beschwerdebefugnisse von öffentlichen Organisationen erläutert. Letztendlich wird entschieden, dass das Verkehrsstrafamt nicht berechtigt ist, die Beschwerde zu erheben, und somit der Rekursentscheid nicht überprüft werden kann.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 60/2007/10 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 08.06.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 111 Abs. 2 BGG; Art. 18 und Art. 36 Abs. 1 VRG. Beschwerdebefugnis kantonaler Amtsstellen im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren |
Schlagwörter : | Recht; Verwaltung; Bundes; Recht; Verwaltungsgerichts; Regierungsrat; Bereich; Entscheid; Verkehrsstrafamt; Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Strassen; Entscheide; Kanton; Regierungsrats; Hinweis; Marti; Behörde; Bundesverwaltung; Bundesgericht; Bundesbehörde; Rekurs; Verkehrsstrafamts; Strassenverkehr; Gemeinwesen; Bundesverwaltungsrecht; Behördenbeschwerde; ändigen |
Rechtsnorm: | Art. 111 BGG ;Art. 332a StPO ; |
Referenz BGE: | 124 II 417; |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Art. 111 Abs. 2 BGG; Art. 18 und Art. 36 Abs. 1 VRG. Beschwerdebefugnis kantonaler Amtsstellen im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren (OGE 60/2007/10 vom 8. Juni 2007)Das kantonale Verkehrsstrafamt ist nicht befugt, einen Rekursentscheid des Regierungsrats, mit welchem eine SVG-Administrativverfügung teilweise zugunsten des Rekurrenten geändert worden ist, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten.
Hinweis auf die Möglichkeit der Anfechtung durch die zuständige Bundesbehörde (Bundesamt für Strassen ASTRA).
Im Anschluss an einen ausländischen Strafund Administrativentscheid für eine in Deutschland begangene Übertretung des Strassenverkehrsrechts (Geschwindigkeitsüberschreitung und Fahren ohne Sicherheitsgurten) entzog das kantonale Verkehrsstrafamt X. den Führerausweis für drei Monate. Auf Rekurs des Betroffenen reduzierte der Regierungsrat die Entzugsdauer unter Anrechnung der ausländischen Massnahme auf zwei Monate und 15 Tage. Hiegegen erhob das Verkehrsstrafamt Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Obergericht. Dieses trat auf die Beschwerde nicht ein.
Aus den Erwägungen:
2.- Gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Verwaltungsbehörden kann, wer in eigenen schutzwürdigen Interessen verletzt ist, innert 20 Tagen nach Mitteilung des angefochtenen Entscheids Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Obergericht erheben, soweit nicht was vorliegend nicht der Fall ist besondere Rechtsmittel offenstehen (Art. 34, Art. 36 Abs. 1 und Art. 39 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 [VRG, SHR 172.200]).
Vorliegend erhebt der Polizeirichter als Leiter des Verkehrsstrafamts, welches auch erstinstanzliche Verwaltungsbehörde für Administrativmassnahmen im Strassenverkehr ist (Art. 15 Abs. 1 der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 [StPO, SHR 320.100] und § 4 der kantonalen Strassenverkehrsverordnung vom 7. Juli 1992
[SHR 741.011]) Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Rekursentscheid des Regierungsrats, mit welchem die erstinstanzliche Administrativverfügung des Verkehrsstrafamts teilweise geändert wurde. Der Polizeirichter begründet seine Legitimation zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht näher, und der Regierungsrat sowie der private Beschwerdegegner haben zu dieser Frage auch nicht Stellung genommen. Die Frage der Beschwerdebefugnis des kantonalen Verkehrsstrafamts ist jedoch als Eintretensvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen.
Die erwähnte, allgemeine Beschwerdebefugnis gemäss Art. 36 Abs. 1 VRG ist grundsätzlich auf Privatpersonen zugeschnitten (vgl. auch Art. 18 Abs. 1 VRG und Arnold Marti, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Schaffhausen, Diss. Zürich 1986, S. 164 ff., mit weiteren Hinweisen). Sie gilt jedoch auch für öffentliche Organisationen, soweit diese gleich ähnlich wie Privatpersonen betroffen sind. Letzteres trifft insbesondere dann zu, wenn ein Gemeinwesen als materieller Verfügungsadressat in seinen vermögensrechtlichen Interessen betroffen ist. Darüber hinaus ist ein Gemeinwesen legitimiert, wenn es in seinen hoheitlichen Befugnissen berührt ist und ein schutzwürdiges Anfechtungsinteresse besitzt. Dies ergibt sich für das kantonale Verwaltungsverfahrensrecht auch ausdrücklich aus Art. 18 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 2 VRG. Hingegen genügt das allgemeine Interesse an einer richtigen Rechtsanwendung nicht, selbst wenn damit finanzielle Folgen verbunden sind. Insbesondere ist die in einem Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht legitimiert (vgl. dazu Marti, S. 181 ff., und zur entsprechenden Rechtslage im Bundesverwaltungsrecht die Zusammenfassung der Rechtsprechung in BGE 124 II 417 ff. E. 1e). Hieraus ergibt sich, dass eine darüber hinausgehende Legitimation eines Gemeinwesens und insbesondere einer Behörde nur dann besteht, wenn eine besondere Vorschrift dies vorsieht. Solche Vorschriften bestehen im kantonalen Recht bisher lediglich in der Steuergesetzgebung und sind neuerdings im Bereich des Datenschutzes vorgesehen (Art. 26a des kantonalen Datenschutzgesetzes gemäss Referendumsvorlage vom 7. Mai 2007 [ABl 2007, S. 681] sowie Vorlage des Regierungsrats vom
24. Oktober 2006 [AD 06-97]). In anderen Bereichen (namentlich im Bereich des Schulrechts, des Naturund Heimatschutzrechts und des Strafvollzugsrechts) ist die Einführung einer besonderen Behördenbeschwerde dagegen gescheitert (vgl. Marti, S. 186 f.; zur ähnlichen Situation im Kanton Zürich Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. A., Zürich 1999, § 21 N. 79 ff., S. 427 ff., insbesondere
N. 85, S. 429 f.).
Tatsächlich kann es allenfalls unbefriedigend sein, dass Verwaltungsentscheide im Unterschied zu Strafentscheiden, die von der Staatsanwaltschaft angefochten werden können (vgl. Art. 16, Art. 310 Abs. 2 lit. b,
Art. 328 Abs. 3 und Art. 332a Abs. 2 StPO), nur von den betroffenen Privaten angefochten und damit insbesondere dann nicht korrigiert werden können, wenn sie allenfalls zu Unrecht zugunsten einer Privatperson ausgefallen sind. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass im Bereich des Verwaltungsrechts im Unterschied zum Strafrecht - die ordentlichen Mittel der Verwaltungsaufsicht bestehen (Aufsichtsbeschwerde; Weisungen und dienstliche Anordnungen der Aufsichtsbehörde), womit solche Fehler allenfalls behoben o- der zumindest für die Zukunft ausgeschlossen werden können (vgl. dazu insbesondere den Bericht des Volkswirtschaftsdepartements vom 20. Dezember 2002 zu der von der Arbeitsgruppe Sicherheit vorgeschlagenen Einführung einer Behördenbeschwerde im Bereich des Strafund Massnahmenvollzugs,
S. 4 ff., von welchem der Regierungsrat mit Beschluss vom 28. Januar 2003 in zustimmendem Sinn Kenntnis genommen hat, sowie Marti, S. 186 f.; zu den beschränkten Eingriffsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden im konkreten Fall allerdings auch Kölz/Bosshart/Röhl, Vorbemerkungen zu §§ 1928 N. 39, S. 308 f.). Im vorliegenden Fall ist freilich ein Entscheid des Regierungsrats umstritten, der selber oberste Aufsichtsinstanz über die Verwaltung ist, womit die erwähnten Aufsichtsmittel zum vorneherein entfallen (dem Kantonsrat kommen gegenüber der Verwaltung lediglich beschränkte Oberaufsichtsbefugnisse zu; Art. 55 und Art. 60 der Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 17. Juni 2002 [KV, SHR 101.000]).
Da es vorliegend aber in materieller Hinsicht um die Anwendung von Bundesverwaltungsrecht geht, sind die besonderen Regeln der Bundesaufsicht zu beachten. So kam bereits gemäss dem seit 1969 geltenden früheren Art. 103 lit. b des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG; AS 1969, S. 767 ff.) dem in der Sache zuständigen Departement (oder aufgrund einer Delegation der zuständigen Dienstabteilung der Bundesverwaltung) die Befugnis zu, kantonale Entscheide im Bereich des Bundesverwaltungsrechts mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anzufechten. Diese Befugnis bestand allerdings von Sondervorschriften abgesehen - nur für die Anfechtung von Entscheiden der letzten kantonalen Instanz, also nicht bereits der Vorinstanzen des kantonalen Verwaltungsgerichts (vgl. dazu auch Kölz/Bosshart/Röhl, § 21
N. 80 f., S. 427 f.). Diese als unbefriedigend empfundene Situation wurde jedoch durch das neue, seit dem 1. Januar 2007 in Kraft stehende Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 (BGG, SR 173.110) korrigiert. Die zuständige Bundesbehörde, welche zur Erhebung einer öffentlich-rechtlichen Beschwerde ans Bundesgericht legitimiert ist (Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG), kann nun auch die Rechtsmittel des kantonalen Rechts ergreifen und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren beteiligen, wenn sie dies beantragt (Art. 111 Abs. 2 BGG [sogenannte integrale Behördenbeschwerde] und dazu Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz, Handkommentar, Bern
2007, Art. 111 N. 10 ff., S. 472 f., und Spühler/Dolge/Vock, Bundesgerichts-
gesetz, Kurzkommentar, Zürich/St. Gallen 2006, Art. 111 N. 3, S. 207 [eine Pflicht zur Eröffnung besteht jedoch grundsätzlich nur für letztinstanzliche kantonale Entscheide; vgl. Verordnung über die Eröffnung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. November 2006, SR 173.110.47]).
Im vorliegenden Fall hätte somit das Bundesamt für Strassen (ASTRA) als für den Bereich der Strassenverkehrsgesetzgebung beschwerdeberechtigte Bundesbehörde (Art. 10 Abs. 4 der Organisationsverordnung für das UVEK) vom 6. Dezember 1999 [SR 172.217.1], Fassung vom 8. November 2006) allenfalls aufgrund eines Hinweises der kantonalen Fachbehörde, welche trotz Einbettung in die Hierarchie der kantonalen Verwaltung zur Zusammenarbeit mit der zuständigen Aufsichtsbehörde des Bundes berechtigt und verpflichtet ist in Anwendung von Art. 111 Abs. 2 BGG Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Obergericht erheben können (vgl. zur Problematik der fehlenden Mitteilungspflicht für unterinstanzliche kantonale Entscheide im Hinblick auf das integrale Beschwerderecht der zuständigen Bundesbehörde auch Theo Loretan in: Vereinigung für Umweltrecht/Helen Keller [Hrsg.], Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. A., Zürich 2002, Art. 56 Rz. 16 ff., S. 5 f.). Somit kann jedenfalls nicht gesagt werden, ein allenfalls zu Unrecht zugunsten eines Rekurrenten ausgefallener Regierungsratsentscheid könne nicht korrigiert werden. Es besteht daher heute insbesondere im Bereich des Bundesverwaltungsrechts kein Anlass, durch ausdehnende Auslegung Lückenfüllung eine besondere Behördenbeschwerde zugunsten einer kantonalen Fachbehörde zu ermöglichen. Offengelassen werden kann hierbei, ob dies aufgrund der bestehenden Rechtsgrundlagen und Materialien überhaupt möglich wäre bzw. ob nicht der Gesetzgeber solche Interorgan-Streitigkeiten innerhalb eines Gemeinwesens in der Verwaltungsrechtspflege bewusst habe ausschliessen wollen, wofür zahlreiche Hinweise bestehen (vgl. dazu Marti,
S. 186 bei Anm. 123, mit Hinweisen).
Auf die vorliegende Beschwerde des kantonalen Verkehrsstrafamts ist daher nicht einzutreten, weshalb der angefochtene Rekursentscheid nicht materiell überprüft werden kann.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.